Vor über loo Jahren in Differdingen.

STERNSTUNDE DER LUXEMBURGER STAHLINDUSTRIE.  

Ohne Zweifel kann das 18.Jahrhundert als das "Geburtsjahr" der heute so hoch entwickelten Technik angesehen werden,denn auf allen Gebieten machte sich damals das Bestreben bemerkbar,moderne Wege einzuschlagen die die Grundlage für die überraschend schnelle Entwicklung der Technik,nicht nur in Beziehung auf die Gewinnung des wichtigsten Rohstoffes,des Eisens, sondern auch in Hinsicht auf die Schaffung von Arbeits-und Kraftmaschinen bildeten. Für die gesamte Industrie hat die Erfindung der Dampfmaschine und die dadurch ermöglichte Verwertung der in der Kohle ruhenden Energie den Beginn der gewaltigen Entwicklung bringen können. Die wichtigste Erfindung auf diesem Gebiet machte "James Watt" mit seiner einfachwirkenden Dampfmaschine die er 1769 zum Patent anmeldete.

James Watt 1736 - 1819

Dampfmaschine 1769 London Science Museum

Das wesentlich Neue dieser Maschine bestand in einem vom Zylinder völlig getrennten Kondensator.Diese geniale Erfindung gab den Anstoss zu der gewaltigen Entwicklung der gesamten Technik bis zu unserer Zeit und brachte einen Umschwung hervor wie er kaum seinesgleichen findet.Eine ähnlich wertvolle Erfindung in der bereits "fortschrittlichen" Stahlindustrie schaffte fast 100 Jahre später (1855) der Engländer Henry Bessemer.Es gelang ihm auf relativ einfache Weise Stahl im "Konverter"(Bessemer Birne) herzustellen.Allerdings konnte er mit seinem Verfahren nur phosphorfreies Roheisen verarbeiten und so kam es nur wenigen Hüttenwerken zugute.Es war aber einer der berühmten "Steine des Anstosses."  Die Aufgabe den im Roheisenbad enthaltenen Phophor zu binden,löste im Jahre 1878 ein anderer Engländer Sidney Gilchrist Thomas durch Ausfütterung des Konverters mit basischem Kalkfutter(Dolomit)

Führ Luxemburg war die Einführung des "Thomas-Verfahrens" mit Rücksicht auf den hohen Phosphorgehalt seiner grossen Eisenerzvorräte von höchster Bedeutung.Am 15.April 1886 kam das Verfahren erstmals in Düdelingen zur Anwendung.  Der Weg,Stahl in weitaus grösseren Mengen herzustellen,war nun frei. Als die Hüttenherren dann auch noch dazu übergingen ihre Hochöfenwerke in "einem" Standort mit Stahl-und Walzwerk zu verbinden,waren ungeheure,nicht nur technische ,vorallem auch wirtschaftliche Vorteile zu erwarten. So wurde am 12 Mai 1896 (Akte Notar Noppeney) die " S.A.des Hauts Fourneaux de Differdange "gegründet.-Im Verwaltungsrat war auch der Luxemburger Industrielle "Paul Wurth",der bereit zwei Jahre später -1898- zusammen mit dem in England geborenen Amerikaner "Henry Grey" ein bedeutendes Stück Luxemburger Industriegeschichte schreiben sollte.

DER GREY-TRAGER UND SEINE GESCHICHTE.

Es bedarf zu diesem Thema einer etwas umfassenderen Erläuterung insbesondere den "Träger" selbst betreffend. Die deutschen Normalträger hatten sich zwar im allgemeinen gut eingeführt,zeigten aber verhältnismässig schmale Flansche,in denen Niete und Schrauben sich nicht bequem anbringen liessen.Das Bestreben neben dem Normalprofil noch andere einzuführen die bei gleicher Höhe breitere Flansche haben sollten,wurde seinerzeit aus walztechnischen Gründen abgelehnt.   Ein Bedürfnis nach solchen "breitflanschigen" und hohen Profilen machte sich zunächst in Amerika geltend, wo die Lohnverhältnisse und die meist sehr kurz bemessene Bauzeit darauf hindrängten aus Blechen Winkeln und Platten zusammengenietete Querschnitte durch in einem Stück fertiggewalzte Profile zu ersetzen.Aber auch in unseren Regionen sollte die Ersparnis an Arbeit und Zeit für Löcherbohren-Zusammenpassen und Nieten von Wert sein. Die Schwierigkeit solche breitflanschigen Profile nach dem üblichen Verfahren herzustellen,brachte den früheren Oberingenieur des damals Carnegieschen Walzwerkes in Homestead bei Pittsburg Henry Grey auf den Gedanken ein spezielles Universalwalzwerk dafür zu konstruieren Bei den neuen Profilen schien zunächst der Steg im Vergleich zu den starken und breiten Flanschen zu schwach zu sein,auch der Ubergang zwischen Steg und Flansch zu wenig vermittelt. Zum Teil rührt dieser Eindruck her von der geringen Neigung der Innenfläche der Flanschen von nur 9% (14% beim Normalprofil).Eine so geringe Neigung konnte und musste zugleich gewählt werden weil sie einerseits für die Herstellung kein Hindernis bildet und weil andererseits bei stärkerer Neigung die sehr breiten Aussenkanten fast in Schneiden auslaufen würden.

14% Neigung 9% Neigung

Die Stegstärke genügt für recht bedeutende Auflagerdrücke wie durch Versuche erwiesen ist.Unbestriiten dürfte auch sein dass die Stegstärke bei den Normalprofilen,die mit Rücksicht auf die etwas leichtere Walzarbeit,reichlich bemessen ist,besonders bei den höheren Profilnummern. Das Greysche Universalwalzwerk ergiebt die Verschiedenheit der Steg-und Flanschstärken ohne nennenswerte innere Spannungen im Fertigprodukt vermöge der besonderen Art,wie Steg und Flansche bearbeitet werden,das Material wird in ihm weit rationeller durch-und umgeformt, als in den üblichen alten Trägerwalzen möglich ist. Uber die Herstellungsweise der Grey-Profile auf dem Differdinger Werk sei folgendes mitgeteilt: Die 2,5 bis 6 to.schweren Flusseisenblöcke von 500x500 bis 500x550 Millimeter Grundfläche die ohne Umschmelzung unmittelbar vom Hochofen oder aus dem Mischer von 250 to.Inhalt entnommen und nach dem Thomasverfahren in der Birne mit beliebiger Härte und Festigkeit erblasen sind,werden zunächst auf einem Blockwalzwerk von 2,5 m. Ballenlänge und 1,1 m. mittlerem Durchmesser vorgewalzt und dabei in 13 Stichen auf 5 bis 6 m. Länge gebracht.Auf einer starken hydraulischen Schere werden die Blockenden abgeschnitten und das Walzgut noch einmal in einen Wärmeofen gebracht um etwa vorhandene Spannungen auszugleichen.   Danach gelangen die Blöcke in das eigentliche "Universalwalzwerk" Dieses besteht aus 2 Ständerpaaren-eines mit einem Paar liegender Walzen (A) den Nebenwalzen und eines mit je einem Paar liegender Walzen(B) und stehender Walzen (C) den Hauptwalzen.Die Hauptwalzen bearbeiten und bestimmen die Flächen und die Dicken des Steges und der Flansche,die Nebenwalzen bearbeiten nur die Aussenkanten der Flansche,bestimmen also die Flanschbreite und zwar durch den Abstand der beiden Ringe (a)   Damit während des letzten Vorganges zu dem nur geringer Druck erforderlich ist,der Flansch gut eben bleibe ist er sicher zwischen Walzenballen und feststehenden einstellbaren Führungsschienen gehalten.Hiebei wird das Walzgut nie gehoben oder gewendet,es läuft nur immer vorwärts oder rückwärts,infolgedessen brauchen die fertig gewalzten Träger kaum nachgerichtet zu werden. (Von R.Cramer.Vorgetragen im Berliner Bezirksverein deutscher Ingenieure-Zeitschrift VDI Nr 33 /16.August 1902)

VOR 100 JAHREN IN DIFFERDINGEN.

Am 10.5.1929 übermittelte Paul Wurth(er war damals schon aus dem Berufsleben ausgestiegen)an einen gewissen C.F.Rye z.Zt. im Parc Hotel in Düsseldorf,folgenden gedrängten historischen Uberblick über die Grey-Träger in Differdingen(Das Original hiervon ist unauffindbar,eine Kopie nur sehr schwer leserlich) Im Mai oder Juni 1898 hatte ich in meiner Privatwohnung in Luxemburg den Besuch der Herren Henry Grey(als Delegierter der American Mill Company New-York) und Charles Albert Prince (chateau de la Roche a change par Amboise ,Indre et Loire) welche mir 2 Abschnitte von Trägern zeigten und zwar eines breitflanschigen und eines dünnstegigen ,welche auf einem in Duluth Minesota sich befindlichen Walzwerk hergestellt worden waren. Am 8.Juli 1898 habe ich mit Herrn Grey einen Vorvertag getätigt behufs Erwerbung einer Lizenz auf die Herstellung dieser Träger in Differdingen. Am 18 Juli 1898 kam Herr Prince ,ohne Herrn Grey, zu mir mit Herrn Harmon,ebenfalls von der Mill Company bei welcher Gelegenheit ein neuer Optionsvertrag getätigt wurde. Bei diesem Vertrag war ausbedungen,dass Herr Max Meier die Anlage in Duluth besichtigen sollte(Max Meier war auf Vorschlag von Paul Wurth als Walzwerksspezialist am 11.7.1898 in den Differdinger Verwaltungsrat gekommen)Herr Harmon sagte mir dass der eigentliche Erfinder des Universalwalzwerkes ein gewisser Herr York sei.Herr Grey habe dieses Verfahren verbessert und praktisch gestaltet.Auch soll ein Herr Kennedy schon vor Herr York sich ein ähnliches Verfahren habe patentieren lassen. Am 5.September 1898 sind die Herren Max Meier und Xavier Brasseur (unser Rechtsbeistand) von Bremen nach Amerika abgereist.Uber diese Reise sowie Besichtigung des Werkes in Duluth ,das übrigens nicht in Betrieb war,liegen bei mir Berichte des Herrn Brasseur vom 16. vom 18 und dem 21 September 1898 vor.In New York haben die Herren Meier und Brasseur alsdann einen definitiven Vertrag mit der Mill-Company getätigt,welcher nach Rückkehr der Herren am 16.0ktober 1898 vom Verwaltungsrat genehmigt wurde.Nun wurde mit der Ausarbeitung der Zeichnungen und der Patente begonnen(Patentanwalt Meffert aus Berlin) Uber die herstellenden Profile habe ich lange mit Herrn Grey unterhandelt und ihm schliesslich meine Wünsche die dahin gingen dass für jede Trägerhöhe 4 Serien hergestellt werden sollten.Am 17.Februar 1899 schrieb mir Herr Grey einen längeren Brief über diese Wünsche.Das diebezügliche Originalschreiben ist in meinem Besitz. Daraufhin wurden 4 Trägerserien von Herrn Grey aufgestellt und berechnet und von ihm das erste kleine rote Profilbuch in französischer Sprache bei Harrison/Son gedruckt. Das Walzwerk selbst kam gegen Mitte 1901 in Betrieb. Es wurde beschlossen dass zunächst nur die deutschen Normalträger und die breitflanschigen Träger hergestellt werden sollten und es wurde im Jahre 1902 ein diesbezügliches Profilbuch in deutscher Sprache herausgegeben, An diesem Profilbuch haben sowohl Herren aus Differdingen wie auch von meinem Konstruktionsbüro mitgearbeitet.(Gemeint war hier das Konstruktionsbüro in Luxemburg Hollerich-Kesselfabrek) In der ersten Hälfte des Jahres 1902 wurde von mir die erste Brücke mit Grey-Trägern entworfen.Dieselbe wurde gebaut in der zweiten Hälfte desselben Jahres(Ebenfalls Kesselfabrek)..Soweit Paul Wurth (10.5.1929) Bis der erste Greyträger in Differdingen gewalzt werden konnte galt es noch einen schweren und dornigen Weg zu durchlaufen.Das Jahr 1900 war gekennzeichnet durch eine schwere Finanzkrise.Sicher waren es hierbei manche Geburtsfehler die einer solchen Anlage nun einmal anhaften die dazu beitrugen,aber auch die grossen Gasmotoren(3) die mit Hochofengas nicht so reibungslos wie erwartet funktionierten trugen dazu bei,.Das Gas musste gereinigt werden,was auch zusätzliche Unkosten verursachte.   Dennoch,am 1.Juli 1901 lief bei der "Deutsch-Luxemburgischen Bergwerk und Hütten A.G.(so der neue Namen seit dem 15.6.1901)der erste Greyträger durch die Walzen. Bereits im Juli 1911 (Max Meier war seit 1908 nicht mehr dabei) wurde immer wieder unter dem Impuls von Paul Wurth.der erste Grey-Träger von 1 m. Höhe gewalzt.(siehe Bild) Vergessen wir nicht dass Anfangs die Greyträger -Flansche eine 9% Neigung hatten,im Gegensatz zu dem deutschen Normalprofil der immerhin eine Innenflansch-Neigung von 14% aufwies. Erst Jahre später kam der Differdinger Paralellflansch-Greyträger auf den Markt(siehe Skizze) Eine wesentliche Verbesserung und vorallem für den Stahlbau eine enorme Vereinfachung,konnten doch hierin Nieten viel leichter geschlagen werden und insbesondere fielen bei den Schrauben die konischen Unterlegscheiben weg.

DER DIFFERDINGER GREYTRAGER HATTE WELTRUF ERLANGT.


In seinem historischen Rückblick vom 10.5.1929 (siehe oben) erwähnte Paul Wurth,dass er,nachdem 1901 die ersten Grey-Träger (es waren keine Parallelflansch-Träger) gewalzt worden waren,in der ersten Hälfte des Jahres 1902 eine Greyträgerbrücke entworfen hatte.die in der zweiten Hälfte des Jahres gebaut wurde.

DIE "CHARLYS-BRECK" IN DOMMELDINGEN.

Diese Brücke für die Vicinalbahn Luxemburg-Echternach(Schmalspur) wurde in der Hollericher Kesselfabrek (heute Atelier Paul Wurth) gebaut. Eine erste Zeichnung ist datiert "Luxemburg im April 1902" und trägt die Nummer Com.907 Blatt 1509. Die Originalpläne die lange Jahre als verschollen galten,wurden vor wenigen Jahren (1993) vom Verfasser dieses Artikels wiedergefunden und restauriert.Sie befinden sich im Archiv Paul Wurth . Es lässt sich heute nach fast 100 Jahren nur noch sehr schwer nachvollziehen-und das ganz besonders weil man die damaligen Begebenheiten nicht genau genug kennt-wie eine solche Brücke konstruiert und auch transportiert werden konnte. Im Werk ,die Kesselfabrek war nur 40x 16 m. gross und nur teilweise überdacht,gab es nur einen feststehenden Baukran von 5.t.(?)

Die Brücke wurde in Einzelteilen hergestellt,soviel lässt sich heute sagen und wahrscheinlich wurden die Knotenpunkte mit Bolzen gepasst die auf der Baustelle nach dem Zusammennieten wieder entfernt wurden. Während man damals infolge der Transportbedingungen der Eisenbahn mit Stücklängen von etwa lo(zehn) meter rechnen musste,war es in Amerika nichts Seltenes,weit längere Stücke im Werk herzustellen (bis zu 36 m.Länge und einem Gewicht von 50 t.) Auch der Transport über unsere damaligen Strassen war mit Schwierigkeiten verbunden.handelte es sich doch ausschliesslich um Pferdefuhren- Zur Montage-es war ein Zusammenbau vor Ort-wurde ein Holzgerüst aufgebaut,auf das die Haupt und Querträger zu liegen kamen.die mit Winden hochgezogen wurden.Es blieb solange stehen bis die Brücke an ihren Auflagern festsass und alle Knotenpunkte "genietet" waren. Die "Charlys-Breck" hatte eine Länge von 2 x 45,5 m. und zwischen den Hauptträgern eine Breite von 4,4 m. Sie führte über eine kleine Strasse und über die Linie Luxemburg-Diekirch der Wilhelm Luxemburg Normalspurbahn.Für'diese Eisenbahn war für die Dauer der Montage im Holzgerüst eine Durchfahrt von 8,2 m.Breite und einer lichten Höhe von 4,55 m. vorgesehen. Leider hat die moderne Welt wie von so vielen alten Konstruktionen auch von dieser Brücke nichts übrig gelassen. So haben "genietete" Konstruktionen und Fachwerke heute schon Seltenheitswert. Es war Paul Wurth,der am 24 April 1945,im Alter von 82 Jahren in Luxemburg verstarb noch vergönnt mitzuerleben wie die Amerikaner mit "Seinem" Greyträger die ersten Brücken über den Rhein schlugen Die dazu benötigten Stützen wurden in "Seiner" Kesselfabrek zu Luxemburg-Hollerich im Auftrag der Alliierten hergestellt. Henry Grey verstarb am 4.Mai 1913 in East-Orange (USA) Inzwischen hat der Differdinger Grey-träger seine Reise um die Welt angetreten,von der er auch in absehbarer Zeit noch nicht zurückerwartet wird. Niemand vermag heute zu sagen wie sich die Differdinger "Schmelz" weiterentwickelt hätte,wären damals nicht so weitsichtige Männer wie Wurth-Meier-Brasseur usw. im Rampenlicht gestanden.   In Differdingen wurde damals Geschichte nicht nur geschrieben, sie wurde vorallem hier gestaltet und das zum Wohl des ganzen Luxemburger Landes.


Erste Brücke über den Rhein bei Wesel "Lincoln on the Hudson" errichtet vom 30.3.bis 9.4.1945
(Les poutrelles Grey de Differdange au service des armees alliees 1944-1945)

Roger Kneip

Aus:"Unsere Vergangenheit ist Eure Zukunft" bearbeitet Dezember 1997 Roger Kneip

 


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